Als ich die Schulleitung einer privaten Montessori-Schule übernahm, war ich noch recht neu an der Schule.
Ich hatte ein Jahr vorher als Klassenlehrerin einer Primarstufenlerngruppe dort begonnen. Vorher hatte ich mein Montessori-Diplom gemacht und bereits an vier verschiedenen sonderpädagogischen Einrichtungen gearbeitet. Eine Weiterbildung zur Schulleiterin begann ich zeitgleich mit dem Job.
Kinder stark werden lassen, ist mir wichtig
Ich fühlte mich eigentlich recht gut vorbereitet, da ich es gewohnt war, in neue Aufgaben einzufinden. In meinem ersten Jahr an der Montessori-Schule hatte ich außerdem eine intensive und gute Qualitätsmanagement-Fortbildung des Landesverbandes Bayern besucht und das gab mir eine gewisse Grundlage, meinte ich.
Die Fülle von Aufgaben traf mich unvorbereitet
Worauf ich nicht vorbereitet war, war die Fülle der Aufgaben, die ich als Schulleiterin hatte. Es war unvorstellbar und sie kamen ungefiltert, ob wichtig oder dringend, geplant oder akut auf mich zu. Ich fühlte mich wie ein Autist, der nicht filtern kann und ungeschützt dem Strom der Reize gegenübersteht und ich glaube, so war es auch zu Beginn. Ich hatte keinen inneren Schutz, keine Methode oder ein Organisationstool, um die Aufgaben anzugehen.
Ich hatte so viele Themen zu bewältigen, dass die Zeit zur Priorisierung fehlte. Das klingt als wäre ich schlecht organisiert, was nicht der Fall ist.
Dank des „Eisenhower-Prinzips“ lernte ich langsam und nach und nach zwischen wichtigen und dringenden Aufgaben zu unterscheiden und priorisierte meine Aufgaben konsequent. Mit den Kategorien wichtig und dringend kam ich sehr gut klar. Immer wieder vernachlässigte ich aber dieses System und fiel in meine alte Haltung zurück, „first come first serve“. Das waren dann Tage und Wochen, die mich sehr forderten. Ich hatte ja die ersten Jahre keine Konrektorin und machte praktisch zwei Jobs gleichzeitig.
Spontaneität – eine große Herausforderung
Herausfordernd war es auch, nach erstellten Plan, diesen jederzeit beiseite zu legen, da spontane Aufgaben meine Aufmerksamkeit erforderlich machten. Und das war im Alltag des Schultages viele Male täglich nötig, vor allem zu Beginn. Ich bin ein sehr flexibler, offener und zugewandter Mensch. Dennoch brachte mich das immer wieder an meine Grenzen, da das Eindenken in eine Aufgabe sehr lange dauert, das rausreißen hingegen ganz schnell geht. Wahrscheinlich kam ich in Wahrheit deshalb an meine Grenzen, weil ich offen war und also auch alle Aufgaben erst mal annahm. Das „Nein-Sagen“ lernte ich erst mit der Zeit.
So kam ich nach kurzer Zeit zu dem Satz: „Schulleitung ist, einen Plan zu machen, der gut ist und dann wieder einen Plan zu machen, der gut ist, nachdem du das Spontane bearbeitet hast“.
Woran lag es, dass die Kollegen, Eltern, Schüler, die Verwaltung und alle, die ihre wertvolle Zeit großzügig einsetzten, um als ein Rädchen im Uhrwerk unserer Montessori-Schule das große Ganze am Laufen zu halten, so oft die Zeit und Aufmerksamkeit der Schulleiterin benötigten?
Es lag, denke ich daran, dass wir ein großes Team waren, das aus insgesamt (Grundschullehrer, Mittelschullehrer, Realschullehrer, Gymnasiallehrer, Sonderpädagogen, Erzieher, Sozialpädagogen, Diplompädagogen, Heilpädagogen, Kinderpfleger), wir verschiedene Montessori-Ausbildungen im Haus hatten, die Fach- und Methodenkompetenz und die Berufserfahrung sehr verschieden ausgeprägt war und außerdem die Schule so schnell gewachsen war. Das multiprofessionelle Arbeiten war recht neu und wir hatten alle noch nicht so ganz. unseren Platz. gefunden.
Der Schulleitungswechsel bedeutete Stress für alle
Dass ich als Schulleiter*in neu war, war ein großer Unsicherheitsfaktor. Eine unsichere Situation für uns alle.
Und ich ließ es zu
Mein Selbstverständnis war, dass ich hilfreich sein wollte für meine Kolleg*innen. Und zwar möglichst sofort, wenn sie meine Hilfe brauchten. Mein Tür war immer offen.
Ein Anspruch, den ich an mich selbst stellte.
Und dieser Anspruch half mir in der planvollen Bearbeitung meiner Aufgaben natürlich nicht.
Doch betrachtete ich diese Unterbrechungen ebenfalls als meine Aufgabe und nicht als eine Störung. Er half mir also sehr, um bei meinem Team zu sein und mich für sie einzusetzen und für sie stark zu machen.
Während ich diese Worte schreibe, denke ich, dass das eine schönes und ehrenvolles Leitungsverständnis ist.
Dennoch weiß ich heute, dass es nur wenige Dinge gibt, die wirklich sofort geklärt werden müssen.
Mein Team lernte nach und nach die Bedürfnisse aufzuschieben oder einfach selbst zu lösen. Dem ersten Impuls sich Hilfe zu holen gibt man sehr leicht nach, das kenne ich selbst. Es ist mehr eine Frage der Gewohnheit.
Was mir wichtig war: der Kontakt zu meinen Kolleg*innen
Ich wollte den menschlichen Kontakt. Das war mir einfach wichtig und das war auch okay.
Später lernte ich andere Wege und die sofortige Beantwortung der Fragen fand neue Wege.
Das war der verantwortungsvollere Weg, denn ich brachte mein Zeit nun tatsächlich zur Bearbeitung der Schulleitungsaufgaben auf.
Als Schulleiterin gab ich Sicherheit
Eine sehr wichtige Aufgabe war es und das verstand ich erst sehr viel später, Sicherheit zu geben und in unsicheren Situationen eine Richtschnur und ein Ruhepol zu sein.
Es war sehr spannend, was passierte, als ich in meinem zweiten Schulleitungsjahr einen Unfall hatte und 6 Wochen krank geschrieben war.
Es kam zu richtig viel Unruhe in der Schule. Nicht sofort, mehr schleichend und nach und nach. Das äußerte sich durch vermehrte Konflikte zwischen den Kindern, durch eine erhöhte Anzahl an Beschwerden von Eltern und an einem Freitagnachmittag hatten wir eine richtige Krise
Die Krise kam am Freitagnachmittag und schockierte uns
Heute kann ich darüber schmunzeln, aber damals war es eine sehr schwierige Situation und wir konnten sie bis heute nicht klären.
Was war passiert? Als der Hausmeister am Freitagnachmittag durch die Schule ging, um zu sehen, ob alle Fenster zu sind, bemerkte er an einer Wand ein besonderes Kunstwerk.
Es war ein mit Edding aufgemalter Penis. Oh Schreck!
Er hielt inne, verblüfft und schockiert.
Als er nach einem lange andauernden Schockmoment den Blick hob, sah er wenige Meter entfernt auf dem Fußboden einen zweiten, kleineren. Der nächste war an der Tür zum Musikzimmer zu finden.
Insgesamt waren es über 40 „Kunstwerke“, die in der ganzen Schule verteilt waren und sogar auf der Straße davor noch ein besonders großes.
Das war eine massive Sachbeschädigung und wir riefen eine Krisensitzung ein.
Ich kam aus meiner Krankheit heraus dazu.
Es war uns nicht möglich zu ermitteln, aus wessen Feder die Kunstwerke stammten. Nun war klar, dass wir es mit einer besonderen Situation zu tun hatten.
Wichtig war uns, deutlich dazu mit den Kindern und Jugendlichen zu sprechen, sie auch anzuhören, uns also als Gemeinschaft zu überlegen, wie wir mit der Situation umgehen wollten und wie wir darüber reden wollten.
Unser sehr fähige Hausmeister entfernte alle 40 Kunstwerke.
Heimlich nenne ich ihn seit diesem Freitag den „Tatortreiniger“.
Gemeinschaft stärken
Mehrere Schüler*innenversammlungen stärkten unsere Gemeinschaft und vermittelten Sicherheit. Wir sprachen offen mit Eltern und Kindern. was passiert war und überlegten gemeinsam, wie wir das Vertrauen in unsere Gemeinschaft wieder aufbauen könnten. Unser Ziel war, eine starke Gemeinschaft zu sein, die gemeinsam nach vorne blickt.
Leitung und Sicherheit gehören zusammen
Und wir lernten alle, dass ich als Schulleiterin einen großen Teil der Sicherheit in der Schule vermittle. Wenn ich länger krank bin, hinterlässt das Spuren. In unserem Fall ganz besondere Kunstwerke, auf die jede Schule lieber verzichtet. Oder?
Sandra Schumacher
Wunder. Fliegen. Weiter.